DAS ANDERE WO – Künstlerische Visionen der Ferne

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Ein Mann fliegt (oder stürzt), kopfüber, vom Himmel abwärts

Künstler:innen sind Nomad:innen der Gesellschaft: unruhig, im Aufbruch und doch im ständigen Ankommen begriffen. Dieser Lebenswandel ist teils durch äußere Umstände bedingt, aber auch selbst bestimmt. Ob durch gesellschaftspolitische Veränderungen, Gentrifizierung, ob aus einer inneren Flucht heraus: Es ist eine Rückbesinnung ins Nomadische, die auch unsere Bildsprache prägt, offensichtlich oder unterschwellig.

Die Tatsache, dass wir ständig in Bewegung bleiben müssen, hat seine visionären Wurzeln in Kunstbewegungen der Avantgarde. Neu ist, dass dies heute durch Lebensumstände hervorgerufen werden kann, die gesellschaftspolitischen Veränderungen unterworfen sind.

Ich selbst bin in meinem Leben sehr oft umgezogen. Nach meiner Kindheit in Süddeutschland, zählten Berlin und New York zu meiner Wahlheimat. Vor drei Jahren zog ich von Berlin nach Wien, da Berlin sich veränderte: Die Stadt wurde ein Magnet für Künstler_:innen, aber auch für Investor_:innen, die Häuser kaufen und „entmieten“. Ich selbst wurde „entmietet“, verlor mein Zuhause und habe mir Wien als neue Wahlheimat aufgebaut.

Auch die Galerie Tristesse Deluxe musste öfters umzuziehen. Dadurch entstand die Idee einer nomadischen Galerie. Wir als Kurator:innen laden 40 internationale Künstler:innen ein, eine Anthologie mit Bildern zu schaffen, die sich mit „dem anderen Wo“ auseinandersetzt.
Dabei bewegen sich unsere Untersuchungen auf zwei Achsen: Wir untersuchen die Ferne in ihren unterschiedlichsten Facetten (politisch, spirituell, poetisch, erinnernd, abstrakt). Gleichzeitig schicken wir diese Arbeiten selbst auf eine Reise und lassen die Ferne als Thema in Dialog treten.
DAS ANDERE WO wandert von Berlin nach Wien ins Open Space, eine Zwischenraumgalerie. Geplant sind weitere Ausstellungen in Buenos Aires, New York, Singapur und Athen.

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Angela Christlieb

Angela Christlieb ist Regisseurin und Künstlerin, die Berlin zugunsten Wiens aufgegeben hat. Es ist bereits der vierter Ort ihres Lebensmittelpunktes – nach Stuttgart, Berlin und New York. Diese Wanderung schafft Konfrontationen mit einem überalterten Begriff der Wahlheimat.

Nelja Stump kommt nicht umher sich intensiv mit ihrer kasachischen Vergangenheit auseinander zu setzen – eine Vergangenheit die keine Erinnerungen hat. Hinzu kommt, dass sie einer permanenten Gentrifizierung in Berlin ausweichen musste und auf innerstädtische Wanderschaft geriet.

Lina Theodorou, bildende Künstlerin aus Athen, wurde durch eine verheerende Krise abrupt und unfreiwillig in Bewegung gesetzt. Sie erlebt inmitten ihrer Vierziger eine schwindelerregende Entsinnung. Auch die Verheißung der Ferne blieb davon nicht verschont.

Ioannis Savvidis, Videokünstler aus Athen trägt zwei nationale Identitäten mit sich und versucht seit seiner Kindheit irgendwo anzukommen. Das gelingt ihm aber nur, solange er in der Touristenrolle, also für eine kurze Weile das Anderssein genießen kann, bis ihn das wiederkehrende Fernweh wieder ergreift.

www.angelachristlieb.com