Biografische Theaterarbeit im Gefängnis
Im Sommer 2004 wurde vom Verein Impulsein das erste Projekt Wir_Hier, Frauenkunst unter Strafe in der Justizanstalt Favoriten initiiert. Die künstlerische Leitung und Konzeptentwicklung übernahm Beate Göbel. Außerdem bereicherte von Beginn an ein erfahrenes Team aus KünstlerInnen und Designern das Projekt. Die Kostümbildnerin Maria Pointner und der Fotograf Laurent Ziegler begleiten das Projekt regelmäßig vor Ort, das Designstudio sitedefintion & valence unterstützt mit Grafik und Webdesign. Natürlich waren wir alle gespannt, ob unsere Intention und Motivation ausreichend stark für die Realität des Knastalltags war, ob das experimentelle und spartenübergreifende Theaterverständnis hinter Gittern auf Resonanz stoßen würde.
Der Anstaltsleiter Hofrat Dr. Wolfgang Werdenich und auch die Leiterinnen der geschlossenen Frauenabteilung (Mag. Corinna Obrist und Mag. Babara Trinkl) nahmen Projektidee und Umsetzungsvorschläge offen an und räumten dem Projekt im Rahmen des Gefängnisalltages eine größtmögliche Freiheit ein. Inzwischen konnten drei Projektzyklen realisiert werden, an denen insgesamt 17 Frauen jeweils drei bis vier Monate freiwillig und selbstbestimmt in ihrer sogenannten „Freizeit“ teilnahmen. Während der Dauer eines Zyklussees haben wir pro Woche bis zu acht Stunden geprobt und gearbeitet. Zwei interne Theateraufführungen konnten in der Turnhalle gezeigt werden, die Frauen haben zwei Hörbücher entwickelt, eine Videoarbeit auf DVD festgehalten, eine T-Shirt Serie entworfen und Cover für eine trendige Designertasche entworfen. All diese „Ergebnisse“ werden auf der Website www.wirhier.at dargestellt. Hier können auch die T-Shirts bestellt werden. Damit ist auch eine erste Vertriebsschiene gelegt, die den inhaftierten Frauen längerfristig einen Geldrückfluss ermöglichen soll. Im Mai 2006 konnte die DVD in der Kunsthalle Karlsplatz präsentiert werden und zurzeit (noch bis 12. Oktober 2006) wird die gesamte Arbeit in der Künstlerhaus Passagegalerie ausgestellt und damit einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Eine begleitende Veranstaltungsreihe mit Diskussions- und Gesprächrunden konnte in Kooperation mit der Straßenzeitung Augustin entwickelt werden. Hier wurde sowohl die Frage diskutiert, ob Theater im Straffvollzug als Kunst, Arbeit oder Therapie zu verstehen ist und Utopien für eine gefängnisfreie Gesellschaft andiskutiert. Zur DVD Präsentation im Mai wurde den inhaftierten Frauen ein zusätzlicher Ausgang gewährt. Die geschaffenen Produkte machen einen wesentlichen Kern der kreativen Arbeit sichtbar, stellen eine wichtige Kommunikationsmöglichkeit mit der Welt außerhalb der Gefängnismauern dar und fungieren auch als Erinnerungsobjekte für alle Beteiligten.
Der Kern der Theaterarbeit aber liegt im Unsichtbaren, in der direkten Begegnung des Probierens und Spielens, in der 1 zutiefst persönlichen Erfahrung derer, die sich dem kreativen Schaffensprozess hingeben. Biografische Theaterarbeit ist dabei ein Vehikel, das es ermöglicht aus sich selbst herauszutreten, sich selbst zu erfüllen, Verborgenes aufzuspüren und uns mit unserem ganzen Wesen zu erleben und anzunehmen. Der eigenen Biografie auf den Spuren, geht es dabei nicht darum, diese dar- und/oder auszustellen, sondern Erlebtes für Darstellungen nutzbar zu machen. Es geht nicht darum zu urteilen oder sogar zu verurteilen. Theaterarbeit im Projekt Wir_Hier verlangt und unterstützt freies Denken, Loslassen von Konventionen, hohes Maß an Eigeninitiative und eine Offenbarung der eigenen Persönlichkeit. Der normale Gefängnisalltag stellt diese Eigenschaften nicht in den Mittelpunkt. Biografische Theaterarbeit orientiert, vertieft und entwickelt sich im Prozess der Begegnung zwischen den DarstellerInnen und der RegisseurIn. Rhythmus- und Sprechübungen, Körper- und Szenenarbeit bilden den Rahmen, in dem sich alle persönlich, selbst und ganz einbringen. Hier entsteht die Kraft für Eigenverantwortung, wächst die Substanz für wahres Selbstbewusstsein wird persönliches Wachstum ermöglicht und der kreative Schaffensprozess eingeleitet.
Wir_Hier, Frauenkunst unter Strafe startet voraussichtlich im Februar 2007 eine neue Projektreihe. Beabsichtigt ist ein Themenschwerpunk in dessen Mittelpunkt ein Theaterstück von Lina Loos steht.