Petra & Bernd

Seit Anfang Oktober steht in der Münchner S-Bahn Passage Rosenheimerplatz die szenische Videoinstallation „Petra & Bernd“ der Wiener Gruppe Freigehege, die in Kooperation mit dem Münchner Künstler Berkan Karpat entstand. Geplant ist, die Installation anschließend (Dezember, Januar) nach Wien zu bringen.

In Anlehnung an ein Filmset oder Bühnenbild wurde in einem öffentlichen Raum, einem großen, leerstehenden Schaufenster, ein klassisches, gutbürgerliches Wohnzimmer eingerichtet. Es ist menschenfrei und doch ist die Gegenwart von Mann und Frau deutlich zu spüren. Viele kleine Details und Requisiten verraten, dass hier eine Geschichte stattgefunden hat. Erst auf den zweiten Blick kann man hinter die Fassade der Bewohner blicken, es eröffnet sich die Sicht auf die Doppelmoral der bürgerlichen Gesellschaft. An der Wand hängen die Fotos eines modernen Paares in einem Jugendstilrahmen: Petra und Bernd. Der obligate Fernseher läuft. Scheinbar das Übliche: Werbung, Sportmagazin, Nachrichten und Serien und schon fängt es wieder von vorne an. Erst jetzt erkennt man, beide ProtagonistInnen sind dieselben wie auf den Fotos. Es ist die Geschichte von Berenice und Peter, die trotz „gender-bewusster“ Lebensführung unter geschlechtsspezifischen Mangelerscheinungen leiden. Sie probieren das neue Medikament Hybrid, welches einen nebenwirkungsfreien und umkehrbaren Rollenwechsel verspricht und insbesondere zur Karriereplanung gezielt anzuwenden ist. So sieht man sie in ihren neuen Rollen als Petra und Bernd in unterschiedlichen gesellschaftlichen Funktionen. Die Arbeitsteilung entlang der Grenzen der geschlechtsspezifischen Kompetenzbereiche wird neu definiert und sich willkürlich der jeweils passenden Rolle bedient. So ist das „unweibliche“ Streben nach Dominanz und effektiver Führerschaft außerhalb des häuslichen Wirkungskreises von Berenice scheinbar erfolgreich. Denn Dank Hybrid konnte sie sich als Mann in der hierarchischen patriarchalischen Gesellschaft beweisen und beherrscht nun als Frau die Techniken der Manipulation und missbraucht ihre Macht gegenüber ganzen unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen. Doch in ihrer persönlichen Beziehung zeigt sich gegenüber Peter ihre Unfreiheit und Abhängigkeit.

Die Kunstfiguren Petra & Bernd sind in vertauschten Geschlechtern die realen Personen Peter Hirsch & Berenice Pahl: ein Liebespaar, eine Lebensgemeinschaft und eine Arbeitsgemeinschaft (Freigehege), die sich ständig neue Rollen und Aufgaben zuteilen und neue Beziehungsentwürfe erproben und doch immer wieder zu alten Rollenklischees zurückkehren. Aus diesem Hintergrund entwickelten wir unsere Geschichte neu. Die Ausgangsbasis für diese Arbeit waren zwei Porträts eines Ehepaares in luxuriösen Rahmen, datierend zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Wir lichteten uns in vertauschten Geschlechtern ab und präsentieren uns in denselben historischen Rahmen. So lassen wir die Frage offen, wohin wir uns ein Jahrhundert nach der Aufnahme der ursprünglichen Porträts in unserer Lebensführung hinbewegt haben, insbesondere wie sehr sich die stereotype Rolle der Frau verändert hat.

Diese Installation besteht also aus drei Teilen: den Fotos, dem Video und dem Raum, welcher die Geschichte aus dem Film ähnlich einem Krimi weiterspielt. Was geschah nach den Bundestagswahlen mit der KanzlerkandiatIn Berenice/Bernd und ihrer/m PartnerIn Peter/Petra in diesem Raum? So spielen wir mit dem Voyeurismus der PassantInnen und laden sie auf eine obskure Entdeckungsreise ein.

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Freigehege

Die Künstlergruppe Freigehege entstand 2004 und besteht aus der Schauspielerin Berenice Pahl und dem Mediengestalter Peter Hirsch. Mittels Foto, Video, Film, Performance, und theatralen Aktionen beziehen wir Positionen zu gesellschaftlich relevanten Themen. Im Mittelpunkt unseres Interesses steht die Auseinandersetzung mit dem Thema „Ohnmacht-Macht“. Der Begriff der „Freiheit“ des Einzelnen wird in Beziehung gesetzt zu dem gesellschaftlichen Rahmen, der ihm vorgegeben wird. So ist auch unser Name eine Anspielung auf eine scheinbare Freiheit innerhalb eines  umzäunten Geheges. Wir hinterfragen gesellschaftliche Strukturen kritisch, vor allem in Beziehung zu ihrer Bedeutung für den neoliberalen Markt und suchen das adäquate Mittel zur gestalterischen Umsetzung. Wir bieten keine Lösungsvorschläge sondern versuchen durch sinnlich ansprechende Gestaltung unseren Fragen einen künstlerischen Raum zu geben.