5 Jahre EU-Sanktionen
Ein Kunst-im-öffentlichen-Raum Projekt zum österreichischen „Gedankenjahr 2005“
Westbahnstraße 32-34, 1070 Wien
1.- 26. Oktober 2005
Podiumsdiskussion: 4. Oktober, 19:30 Uhr, Kunsthalle Wien, project space Karlsplatz
Teilnehmer: Michael Frank (Süddeutsche Zeitung), Eric Frey (Der Standard)
Georg Hoffmann-Ostenhof (profil), Robert Misik (Journalist und Buchautor), Michael Prüller (Die Presse); Moderation Lorenz Gallmetzer (ORF)
Ein leer stehendes großes Geschäftslokal in der Wiener City. Sämtliche Schaufenster wurden von innen komplett mit alten Zeitungen beklebt, so wie das im Alltag mitunter tatsächlich zu sehen ist, etwa beim Wechsel der Dekoration oder, wie in diesem Fall, bei aufgelassenen Läden, um die Fenster blickdicht zu machen. Allerdings handelt es sich bei den Zeitungsseiten nicht um die originalen, sondern um deren Kopien, die stark vergrößert wurden (ca. 4:1). Beide Momente sind also im ersten Eindruck für den Betrachter gegeben: die Anmutung einer gewöhnlichen, alltäglichen Situation wie auch eine Irritation. Für die Arbeit wesentlich ist die Auswahl der Seiten, die einerseits aus Ausgaben einiger österreichischer Tageszeitungen (Kronenzeitung, Die Presse, Der Standard), andererseits aus einigen ausgewählten internationalen Blättern (Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Tagesanzeiger, TAZ) stammen – alle aus derselben Zeit, dem Februar des Jahres 2000.
Auf allen verwendeten Seiten finden sich Schlagzeilen, ausführliche Artikel, Kommentare und Kolumnen zu einem Ereignis, das damals die innen- wie außenpolitische Situation Österreichs bestimmte und das der thematische Gegenstand dieses Projekts ist: die sogenannten EU-Sanktionen gegen Österreich, der damalige Versuch der anderen EU-Staaten den Eintritt der von ihnen als rechtsextrem eingestuften FPÖ in die Regierung zu verhindern – und die darauffolgende mehrmonatige diplomatische Quarantäne, nachdem dieser Versuch mißlang. Obwohl ein in der Geschichte der Europäischen Union einmaliges Geschehen, ist heute, auch im österreichischen Gedenkjahr 2005, davon kein Wort mehr zu hören. Ein im Nachhinein – aus unterschiedlichen Gründen – für alle Beteiligte peinliches Ereignis wird gewissermaßen totgeschwiegen. Einige Skandale der österreichischen Innenpolitik in diesem Frühjahr – neuerliche einschlägige Aussagen von Abgeordneten der FPÖ bzw. des BZÖ – zeigen jedoch, dass sich an den Ursachen der damaligen Ablehnung Österreichs durch die internationale Politik offenbar nichts geändert hat.
Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht die mediale Resonanz auf jene Vorgänge. Den Zeitungen aus der internationalen Presselandschaft werden solche aus der österreichischen gegenübergestellt, um die Differenz von Innen- und Außenwahrnehmung hervorzuheben und deutlich zu machen. Im Rückblick besonders erstaunlich ist hierbei, in welchem Ausmaß einige der hiesigen Blätter der damals von der neuen Regierung propagierten, gezielt emotionalisierenden Forderung nach einem „nationalen Schulterschluss“ nachkamen. Zumindest in einem Teil der einheimischen Medien gelang so der selbsternannten „Wenderegierung“ die groteske Umkehrung, aus der Position eines Parias der inter-nationalen Politik innenpolitischen Profit zu schlagen und die Oppositionsparteien zu diffamieren, die sich im Nu des Verdachts des Vaterlandsverrats erwehren mussten. Anstatt die Gründe der allgemeinen Kritik abzuwägen wurde dem kalkulierten Appell an einen falschen Patriotismus nachgegeben und wurden die Polemiken gegen angebliche „Österreichvernaderer“ wiederholt. „Die Presse“ zum Beispiel strickte gleich zu Beginn der Krise, noch vor dem Inkrafttreten der diplomati-schen Isolation, an der Dolchstoßlegende: Auf einer Titelseite etwa wurde die damals noch amtierende Staatsführung sogar in der Schlagzeile als Drahtzieher verleumdet – Kanzler Klima und Präsident Klestil hätten die Sanktionen im Ausland bestellt. Ein Blatt, das hierzulande als Qualitätszeitung gilt, berichtete nicht bloß über den politischen Prozeß, sondern wollte selbst Politik machen.
Deutsche Zeitungen werden für die Gegenüber- und Zusammenstellung im Besonderen darum gewählt, weil ein wesentliches Motiv dieser beispiellosen Ächtung eines Landes durch die anderen Mitgliedsstaaten in einem hier kaum wahrgenommenen oder ignorierten Vergleich mit gewissen politisch-moralischen Normen begründet war, die im großen Nachbarland gelten – und international dort auch erwartet werden: Die Karriere eines deutschen Politikers wäre nach Sprüchen wie denjenigen Haiders sofort und auf immer erledigt. Jener Maßstab wurde im übrigen Europa natürlich deshalb angelegt und zwingend vorausgesetzt, weil wegen der gemeinsamen deutsch-österreichischen Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus eine demgemäße Aufarbeitung dieser Vergangenheit auch in Österreich unterstellt wurde. Mit dem Eintritt der Haider-FPÖ in die Regierung wurde der internationalen Gemeinschaft jedoch drastisch vor Augen geführt, dass Österreich nicht nur in der Nachriegszeit sondern offenbar bis heute es versäumt hat, einen diesbezüglichen sozialen Konsens zu etablieren, der den ethischen Standards vergleichbar wäre, denen in Deutschland Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens selbstverständlich zu entsprechen haben.
Ein wesentlicher Teil des Projekts war die Podiumsdiskussion zum Thema in der Kunsthalle Wien mit prominenten österreichischen und deutschen Journalisten. Zum Projekt werden wir – voraussichtlich bei Revolver, Frankfurt – eine Publikation herausbringen, die, neben dem Zeitungsmaterial, zwei Essays (u.a. von Robert Fleck) und eine Textfassung der Podiumsdiskussion enthalten wird. Die leidenschaftlich geführte Diskussion verlief auf einem hohen Niveau und behandelte die Fragen um die EU-Sanktionen und die diesbezügliche heutige Situation Österreichs äußert facettenreich.
Schaufenster-Geschichte
Realisierungszeitraum
Medien
Votingsystem wird geladen…
Einreichende Person / Gruppe
Martin Strauß und Karl-Heinz Ströhle
Links